von Happelche » 09.11.2005, 13:40
Verein verurteilt Schlägerei
Ursachenforschung: Koblenzer Fans wurden nach Spielende nicht mit Bussen vom Stadion abgeholt, sondern mussten einen Kilometer weit in der Dunkelheit zur Straßenbahn marschieren
Fußballfans, die sich am vergangenen Freitagabend nach dem mit 1:2 verlorenen Heimspiel des SV 98 gegen TuS Koblenz etwas später auf den Heimweg gemacht hatten, waren verwundert. Kurz vor 22 Uhr, fast eine Dreiviertelstunde nach Spielende, war die Nieder-Ramstädter Straße von Polizeikräften abgesperrt worden. Aus dem dunklen Lichtwiesenweg zwischen Georg-Büchner-Schule und Hochschulstadion waren Siegesgesänge zu hören. Hunderte von Koblenz-Fans waren nach dem Spiel noch eine Viertelstunde im Stadion festgehalten worden, bis sie sich zu Fuß auf den Weg zur Straßenbahnhaltestelle an der Jahnstraße machen konnten.
Irgendwo in der Dunkelheit, auf dem rund einen Kilometer langen Weg von der Waldkasse Nord auf der Rückseite des Böllenfalltorstadions bis zur Straßenbahnhaltestelle an der Nieder-Ramstädter Straße, war es nach Polizeiangaben zu „Pöbeleien und Schlägen“ durch Darmstädter Stadionbesucher gekommen. Ein Koblenzer war an der Schulter verletzt, ein 31 Jahre alter Mann aus Ober-Ramstadt als Darmstädter „Rädelsführer“ festgenommen worden (wir berichteten). Verantwortlich laut Polizeidirektor Helmut Biegi: „Einige wenige Hardliner, die bis zum Sommer Stadionverbot hatten und jetzt wieder reindürfen.“
An den folgenden Tagen überschlugen sich die Gerüchte. Darmstädter mit Baseballschlägern hätten den Koblenzern aufgelauert und auf sie eingeknüppelt. Ein neunjähriges Mädchen liege im Krankenhaus. „Nach dem Sieg kam der Horror – Fröhlicher Ausflug mit dem Sonderzug endete mit einem Hooliganüberfall“ titelte die Koblenzer Zeitung. Das Darmstädter Fanprojekt des Internationalen Bundes schrieb einen offenen Brief, in dem es scharf kritisiert, dass sich die Berichterstattung „fast ausschließlich auf meist anonyme Einträge in Internet-Gästebüchern beruft“. Das Gästebuch der Lilienfans war am Mittwoch wegen verbaler Entgleisungen geschlossen worden.
Die zentrale Frage aber, weshalb die auswärtigen Fans nicht wie bei anderen Spielen mit Bussen am hinteren Stadionausgang abgeholt wurden, stellte bislang niemand. Denn wer keinen Kilometer abends durch den dunklen Wald marschiert, dem kann auch nicht aufgelauert werden.
Antwort von Polizeidirektor Biegi auf ECHO-Anfrage: „Wir haben im Vorfeld des Spiels gefragt, wer die Busse bezahlt, der Verein hat gesagt, er bezahle nicht mehr, die Stadt hat gesagt, es ginge sie nichts an.“ Bei den letzten Spielen habe dies „großzügigerweise“ die Heag übernommen. Nachdem die Koblenzer von der Polizei als harmlos und friedlich eingeschätzt worden waren, sei das Risiko, sie zur Straßenbahn laufen und auf regulärem Weg zum Bahnhof fahren zu lassen, als gering eingestuft worden.
„Der Stadt lag vom Veranstalter des Fußballspiels, dem SV 98, keine Bestellung für Sonderverkehr vor“, sagt dazu die städtische Pressesprecherin Lisette Nichtweiss auf Anfrage. Silke Rautenberg, Sprecherin der Heag mobilo, bezeichnet es als „Good-Will-Aktion“, dass das Tochterunternehmen Heag mobibus bei Spielen in der Vergangenheit Sonderbusse eingesetzt hatte. Denn die Heag muss im Rahmen des RMV-Vertrags – Eintrittskarte ist auch gleich Fahrkarte – nur den Fantransport auf der Straßenbahnlinie zum Böllenfalltor mit Zusatzbahnen garantieren. Auf den Kosten für die zusätzlichen Busse bleibt der Verkehrsbetrieb aber sitzen. Also habe die Heag mobilo diesmal nur im vertraglichen Rahmen agiert, sagt sie.
Am Mittwochabend reagierte schließlich auch der Verein auf die Busfrage: „Der SV 98 bezahlt pro Ticket eine nicht unerhebliche Gebühr an den RMV, damit alle Zuschauer kostenlos die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen können“, teilt das Präsidium mit. Dies geschehe freiwillig, eine weitere finanzielle Belastung durch zusätzliche Kosten in diesem Bereich sei für den Verein „nicht tragbar“. Außerdem habe der SV 98 nach Rücksprache mit der Polizei auf eigene Kosten eine Beleuchtung auf der Wegstrecke vom Atzwinkelweg zum Stadioneingang im Wald installiert, „um die An- und Abreise der Auswärtsfans sicherer zu machen“.
Die Schlägerei im Wald verurteilt der Verein „aufs Schärfste“. Gleichzeitig sei das Präsidium „froh, dass sich Meldungen über Verletzungen und KrankenhausEinlieferungen eines Kindes und eines Rentners als falsch erwiesen haben“. Denn in der Tat: Von einem verletzten Mädchen weiß Polizeidirektor Biegi – und auch der TuS – nichts. Biegi habe die Kollegen in Koblenz aufgefordert, eine Stelle einzurichten, an die sich Betroffene wenden sollen, denen in Darmstadt Leid zugefügt wurde. „Bis Montag wurden zwei Anzeigen erstattet“, sagt er.
In der Halbzeitpause am Spielabend hatte es im Stadion vor dem A-Block und dem F-Block zwei Auseinandersetzungen gegnerischer Zuschauer gegeben, die nach Aussagen von Augenzeugen erkennbar betrunken waren. Die Polizei selbst hatte registriert, dass im Koblenzer Sonderzug schon „reichlich Alkohol konsumiert worden“ war, wie Biegi sagt. Dass es zu den Ausschreitungen kommen konnte, habe nicht an fehlender Polizeipräsenz gelegen, betont Biegi. Dem Augenschein nach waren wesentlich weniger Polizisten im Einsatz als sonst. Dieser Eindruck täusche, sagt Biegi.
Aggressionsfördernd hatte sich sicher die Situation an den Kassenhäuschen ausgewirkt. Dort hatten Hunderte angestanden, die letzten Besucher waren erst weit nach Spielbeginn ins Stadion gelangt. „Was Thema sein wird, ist die Security“, kündigt Biegi an. Der Sicherheitsdienst war am Freitag zum ersten Mal im Einsatz, habe an manchen Stellen zu wenig, an anderen zu lang kontrolliert und wohl nicht gewusst, dass auch der Stadioninnenraum zu seinem Einsatzgebiet gehört. „Wir haben die in der ersten Halbzeit in den Innenraum herbeiholen müssen“, sagt Biegi, und: „So kann das nicht weitergehen.“
Lange Wartezeiten vor und nach dem Spiel, Aggressionen im Stadion, dem Augenschein nach weniger Polizei, ein langer Fußmarsch über dunkle Wege – alles in allem eine Verkettung verschiedener Einzelereignisse, die am Freitag einmal mehr dazu geführt hat, dass Darmstadt im Zusammenhang mit Fußball ganz schlecht da steht. Biegi weiß: „Bis zum Spiel gegen Augsburg muss noch einiges bereinigt werden“.
Fragt der Arzt: "Leiden Sie oft unter starkem Durst?" "Nein, Herr Doktor,
soweit lass ich es garnicht erst kommen!"