von Feis » 31.05.2005, 13:08
FAZ:
SV Darmstadt 98
Labbadia macht die "Lilien" zur Herzenssache
30. Mai 2005 Wenn Bruno Labbadia wollte, könnte er in Darmstadt gewiß einen Vertrag auf Lebenszeit unterschreiben, bei freier Berufswahl selbstverständlich, er könnte "noch ein paar Jahre Trainer machen", wie Vereinschef Walter Grimm am Montag sagte, und danach Sportdirektor werden, oder Klubpräsident, oder Bürgermeister. Will er aber alles nicht. Labbadia hat als Trainer des Regionalligavereins SV Darmstadt 98 seinen Vertrag gerade um ein mageres Jahr verlängert - und Grimm zeigte sich voller Dankbarkeit darüber. Im Darmstädter Fußball dreht sich alles um Labbadia, den früheren Nationalspieler und Stürmerstar, der um die Ecke aufgewachsen ist und nach dem Ende seiner Profikarriere vor zwei Jahren die Mannschaft in der Oberliga übernahm. Es war seine erste Trainerstation und er hat sie angegangen wie früher die Spiele auf dem Platz: mit großen Einsatz, mit Leidenschaft und Herzblut. Er ist in die Regionalliga aufgestiegen, und fast wäre er in dieser Saison gleich weiter in die zweite Liga marschiert. Das hat nicht ganz gereicht, aber Labbadias gute Arbeit hatte sich soweit herumgesprochen, daß er sogar in der Bundesliga zum Thema wurde: Kaiserslautern, Bielefeld, Bochum zeigten sich interessiert, ohne letztlich konkret zu werden, Klubs der zweiten Liga wollten den fleißigen Aufsteiger haben, und Labbadia zögerte lange. Am Montag erzählte er von einem Angebot, "das man eigentlich nicht ablehnen konnte". Daß er es dennoch tat und es mit den "Lilien" ein weiteres Jahr versuchen will, erklärt er zur Herzenssache. Das hört sich ein wenig schwülstig an, ist in seinem Falle aber von einer deutlich höheren Glaubwürdigkeit als in der durchschnittlichen Fußballrethorik bei solchen Gelegenheiten. "Meine Arbeit ist noch nicht zu Ende gebracht in Darmstadt", sagt er. Die Arbeit, das ist der ersehnte Aufstieg in die zweite Bundesliga.
Wer in einer so angenehmen Situation ist wie Labbadia, wer hofiert wird wie vermutlich kein anderer Trainer in der Regionalliga, der hat die Freiheit, keine Rücksicht nehmen zu müssen, auf Vereinsfunktionäre, auf die ewigen Besserwisser im Umfeld, auf Schwächen im System. Am Montag, bei der Bekanntgabe seiner Vertragsverlängerung im Hause von Großsponsor Wella, hat Labbadia deutliche Worte gefunden. Er kritisierte die Darmstädter Art, nicht nur, was den Fußball betrifft, in aller Schärfe. "Man ist nicht stolz in dieser Stadt, auf das, was man hat." Er sieht "zu viele Schwätzer" herumlaufen, hat "keine Lust auf Gesülze", will die Leute wachrütteln, die Zuschauer, die Sponsoren, die städtische Verwaltung. Labbadia fehlt die Aufbruchstimmung in der Stadt, die Begeisterung, er vermißt den unbedingten Willen, den Aufstieg zu schaffen, Rückschläge zu ertragen. Und in dieser Situation, sagt er, wäre sein Abschied das völlig falsche Zeichen gewesen. Also sei er geblieben. "Positive Unruhe", nennt Manager Uwe Wiesinger den Wind, den Labbadia Tag für Tag durch den Verein bläst. Daß Wiesingers Vertrag noch nicht verlängert wurde, das beeilten sich alle Beteiligten zu sagen, liege nicht am Widerstand des Trainers, und doch ist es so, daß auch Wiesinger nicht mehr so schalten und walten kann, wie er will, seit der Trainer der Star ist und er nur noch in der zweiten Reihe. Thomas Schmidt, der Sportliche Leiter, hat seinen Vertrag im Gegensatz zu Wiesinger schon in der Tasche, er bleibt weitere zwei Jahre, Labbadia, so heißt es, arbeitet problemlos mit ihm zusammen.
In Darmstadt müssen sich alle mächtig strecken, seit Labbadia das Sagen hat. Die Spieler trainieren wie die Profis (auch wenn sie noch nicht ganz so spielen), und auch im Management und Präsidium fordert der Trainer Ergebnisse ein. Wiesinger hat ihm am Montag eine zwanzigprozentige Steigerung im Personaletat zugesagt und arbeitet an mehr, sogar einen prominenten Stürmer durfte Labbadia offiziell begrüßen: Markus Beierle, dessen Vertrag beim Erstliga-Aufsteiger Eintracht Frankfurt nicht verlängert wurde, unterschrieb einen Vertrag bis 2008. Auch das will Labbadia als Signal verstanden wissen. Als Signal zum Aufbruch. Ein Jahr gibt er Darmstadt noch.
Aufbruchstimmung JETZT => 2. Liga 2007